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Blogbeitrag

Ein historisches Pfarrhaus als Anker der medizinischen Versorgung

Mehren/Vulkaneifel als gelungenes Beispiel für die kooperative Sicherung daseinsvorsorgender Infrastruktur

Als der letzte Pfarrer Ende 2019 das barocke Pfarrhaus im rheinland-pfälzischen Mehren/Vulkaneifel verließ, stand das Gebäude plötzlich leer – und mit ihm eine über Jahrhunderte gewachsene Verbindung zwischen dem Dorf, den dort lebenden Menschen und der Kirche. Leerstand wäre die einfachste Lösung gewesen. Doch Mehren entschied anders: Statt aufzugeben, begann die Kath. Kirchengemeinde, Zukunft zu bauen. Zur selben Zeit nämlich suchte die Allgemeinmedizinerin Christel Werner neue Räumlichkeiten. Ihre bisherige Praxis im Dorf war mittlerweile zu klein geworden, die Mietverträge liefen aus und die Zeit drängte. So kreuzten sich die Wege und es entstand ein Projekt, das bis heute beispielhaft für die Sicherung der medizinischen Versorgung in ländlichen Räumen steht.

„Wir wollten nicht nur ein Gebäude retten, sondern Versorgung sichern.
Und das mitten im Dorf, nicht am Rand.“
(Roland Thelen
)

Hausärztin Christel Werner mit Architekt und Verwaltungsratsmitglied Roland Thelen
Die Vorderansicht des alten Pfarrhauses von der Hauptstraße aus

Christel Werner kennt Mehren seit Jahren, sie arbeitete hier bereits seit dem Jahr 2010 und übernahm sechs Jahre später die Praxis ihres Vorgängers. Weggehen war keine Option, im Gegenteil: „Ich war hier angekommen“, sagt sie. Ihre Entscheidung, weiterhin vor Ort zu bleiben, war Ausgangspunkt für ein Vorhaben, das schließlich kirchliche Trägerschaft und kommunale Verantwortung auf innovative Weise verbindet. Das Ergebnis: ein denkmalgeschütztes Pfarrhaus, das heute eine Arztpraxis beherbergt – mit Charakter und Strahlkraft.

„Ich habe immer gedacht: Wenn ich das hier mache, dann richtig.
Und wenn das Projekt gelingt, ist es ein Gewinn für alle.“

(Christel Werner)

In den Räumlichkeiten des alten Pfarrhauses ist neben modernen Behandlungsräumen der Charme des Gebäudes bei der Umnutzung erhalten geblieben

Durch Engagement, Kooperation und gezielter Förderung zum Erfolg – ein gelungenes Zusammenspiel von Kirche, Kommune, einer engagierten Hausärztin und Drittmittelgebern

Was heute selbstverständlich wirkt, war zunächst eine ungewöhnliche Idee. Die Kirchengemeinde hätte auch anders entscheiden können. Doch da war jemand, der eine Vision hatte und zugleich wusste, wie man sie umsetzt: Roland Thelen, Verwaltungsratsmitglied und Architekt, der seit Jahrzehnten kirchliche Bauprojekte begleitet.

Zunächst hatte die Ortsgemeinde verschiedene Gebäude anhand des vorliegenden Dorfentwicklungskonzeptes geprüft– aber ohne Ergebnis. Erst ein Gespräch im richtigen Moment brachte die Lösung: das Pfarrhaus. Es handelt sich um einen Ort mit Geschichte, mitten im Dorfkern, gut erreichbar, mit genügend Potenzial für einen zeitgemäßen Praxisbetrieb.

„Das Entscheidende war, dass wir nicht lange diskutiert, sondern sofort gehandelt haben. Der Leerstand war Chance, nicht Risiko.“
(Roland Thelen
)

Doch kirchliche Mittel waren ausgeschlossen, da es sich nun um eine wirtschaftliche Nutzung handelte. Thelen plante, rechnete – und identifizierte das LEADER-Programm als entscheidenden Hebel. Mit 175.000 Euro EU-Förderung und einem klaren Finanzierungskonzept konnte das Pfarrhaus mit veranschlagten Gesamtbaukosten von 375.000 € umgebaut werden. Die Kirchengemeinde als Eigentümerin und Bauherrin schloss nun mit der Verbandsgemeinde Daun als Hauptmieterin den langfristigen Mietvertrag – eine Voraussetzung für Kreditsicherheit und Zuschuss.

„Die Verbandsgemeinde hat verstanden: Ohne ärztliche Versorgung verliert ein Ort seine Mitte. Und sie hat Verantwortung übernommen.“
(Roland Thelen
)

Christel Werner mietete mit ihrer Arztpraxis wiederum unter – flexibel, aber verbindlich genug, um langfristig planen zu können. So entstand eine partnerschaftliche Dreierkonstruktion, die Kosten, Risiko und Verantwortung klug verteilt.

„Dass die Verbandsgemeinde hinter uns steht, gibt Sicherheit. Es ist ein Modell, das Schule machen kann.“
(Christel Werner
)

Die neue Nutzung des alten Pfarrhauses in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche bringt nicht nur Leben zurück in das Gebäude, sondern auch in den Ortskern

Herausforderungen und Hindernisse für die medizinische Versorgung – die Realität ländlicher Daseinsvorsorge in Deutschland

Der Umbau selbst stellte weniger ein Problem dar. Es war ein ortsangepasster, respektvoller Eingriff. Tragende historische Elemente wie die Kölner Decken blieben erhalten; ein moderner Kubus als Anbau an der Gebäuderückseite ergänzt das Ensemble. Die Praxis funktioniert barrierefrei, kompakt, effizient, patientennah. Eine Belastung war hingegen der bürokratische Aufwand: Denkmalschutzauflagen, Ausschreibungen, Förderrichtlinien, Abrechnungsprüfungen. Insbesondere die förderrechtliche Feinarbeit bis zur letzten Rechnung wirkte hinderlich. Kleine Abweichungen führten zu Rückforderungen, denn die Sanierung und der Umbau von Alt- oder Bestandsbauten lassen sich nicht immer vollständig vorhersehen.

„Bei historischen Gebäuden sieht man manche Dinge erst,
wenn man die Wände öffnet. Trotzdem mussten
alle Arbeitsschritte haargenau nachgewiesen werden.“
(Roland Thelen
)

Während Umbau und Finanzierung grundsätzlich planbar waren, blieb die Versorgungslage die eigentliche Herausforderung. Landarztpraxen sind heute Knotenpunkte in einem System, das vielerorts überlastet ist: Fachärzte fehlen, Krankenhausstandorte schließen, Telemedizin ergänzt, ersetzt aber nicht und Papierarbeit nimmt Überhand. Christel Werner beschreibt es ruhig, aber klar: Das Problem ist strukturell, nicht individuell.

„Die fachärztliche Versorgung ist eine Katastrophe.
Wir improvisieren täglich – aber die Menschen brauchen
echte Zugänge, nicht nur Geduld.“

(Christel Werner)

Auch Nachwuchsgewinnung ist schwierig: Viele junge Ärzt*innen möchten angestellt arbeiten, nicht allein Verantwortung tragen. Es zieht sie oftmals in größere Kliniken – und damit in die urbanen Räume. Dennoch hat Mehren Antworten gefunden: Ausbildung, Teamaufbau, Delegation durch qualifizierte Medizinische Fachangestellte (MFAs), familiäre Patientenbindung, ergänzende Telemedizin.

„Bürokratie ist heute oft der größte Feind der Medizin.
Und trotzdem mache ich es einfach – jeden Tag aufs Neue.“

(Christel Werner)

 

Vom Leerstand zur daseinsvorsorgenden Infrastruktur – ein Modell für Orte mit Mut und Weitsicht

Mehren hat mit dem Pfarrhausprojekt nicht nur eine neue Arztpraxis geschaffen. Der Ort hat gezeigt, wie Versorgung in ländlichen Räumen gelingen kann: durch frühzeitiges Handeln, ein starkes Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft, ungewohnte Partnerschaften einzugehen. Die Praxis ist heute medizinischer Anlaufpunkt, sozialer Treffpunkt – und ein Symbol dafür, dass Dörfer Zukunft bauen können, wenn sie freie Räume intelligent nutzen.

„Gesundheit gehört in die Mitte des Dorfes.
Und Orte, die das begreifen, gewinnen Zukunft.“

(Roland Thelen)

Christel Werner wird – wie sie selbst sagt: „so Gott will“ – bis zum Jahr 2030 praktizieren. Schon jetzt sorgt das Team dafür, dass Kontinuität gesichert bleibt, dass nächste Generationen eingebunden werden und dass einerseits die Versorgung am Wohnort entscheidend ist, die richtige Haltung jedoch noch viel entscheidender ist.

„Ich habe immer gesagt: Wenn ich hier bin, dann bleibe ich auch für die Menschen.
Und das mache ich so lange, wie ich kann.“

(Christel Werner)

Das Pfarrhaus in Mehren zeigt: Es braucht kein spektakuläres Konzept, um Wirkung zu entfalten. Es braucht Klarheit, Kooperation, Vertrauen – und Menschen, die das, was möglich ist, tatsächlich tun. In Zeiten knapper Ressourcen ist das vielleicht die wertvollste Ressource überhaupt: Entschlossenheit.

Bei der Umnutzung des alten Pfarrhauses wurde sich bei der Ergänzung des Gebäudes bewusst für einen modernen Anbau entschieden
Im Eingangsbereich der Praxis erinnert die LEADER-Tafel an die erfolgreiche Umsetzung des Projekts in Mehren
Eifel

Um mehr über die Region dieser Bereisung zu erfahren hier klicken.

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