Die Stadt Herzberg am Harz mit den vier zugehörigen Erholungsorten Lonau, Pöhlde, Scharzfeld und Sieber liegt am Südrand des Harzes. Der ehemalige Residenzort liegt zu Füßen des mehr als 950 Jahre alten Welfenschlosses. Die innerstädtische Fußgängerzone lässt erahnen, dass es dem Ort in früheren Zeiten an nichts gemangelt hat. Beim Schlendern über die Hauptstraße in Richtung des Marktplatzes offenbaren sich jedoch zunehmende Leerstände. Dass dieses Problem nicht von der Hand zu weisen ist, dessen ist sich die Stadtverwaltung und insbesondere Jörg Bremer von Stadtmarketing der Stadt Herzberg am Harz bewusst.
„Es ist ein glücklicher Zufall, dass wir hier eine kritische Masse von jüngeren Menschen haben, die sich tatsächlich getraut haben, ihre Vorhaben zu starten.“
(Jörg Bremer)
Im Gespräch mit Jörg Bremer und der Simone Standhardt erfahren wir mehr darüber, welche Maßnahmen die Stadt und vor allem die Bürger*innen von Herzberg ergreifen und wo bereits Entwicklungen zu verzeichnen sind. Simone Standhardt, ist als Stadtjugendpflegerin tätig und gehört ehrenamtlich selbst zu den Gestalter*innen der Stadt und erzählt von der Umnutzung der alten Schloss Apotheke zu einem Ort, an dem sich Menschen unterschiedlichen Alters aus Herzberg und Umgebung treffen – und dass jetzt kalte Getränke über die Ladentheke gehen, wo einst Medikamente verkauft worden sind. Die Entwicklung einer Apotheke zu einer Bar mit besonderem Charme, wo gelegentlich auch kleinere Konzerte stattfinden, hat sich allgemein sehr positiv ausgewirkt. Es gibt jedoch Hindernisse, die es ungewiss machen, ob die Menschen auch noch länger hierherkommen können oder der Betrieb nur von kurzer Dauer ist. Auch knapp 100 Meter weiter in Richtung der Bundesstraße, die durch den Ort verläuft, hat sich im „Deutschen Kaiser“ in den vergangenen Jahren viel getan. Die Gaststätte ist zusammen mit der Schleiferei Zwei im Nachbarort Sieber ein weiteres Beispiel dafür, dass Herzberg am Harz eine Stadt ist, in der man nicht aufgibt, sondern alles versucht, um den Menschen ein lebenswertes Umfeld zu bieten.
Die Eisenbahn brachte Herzberg im späten 19. Jahrhundert einen wirtschaftlichen Aufschwung und machte die Kleinstadt zu einem bedeutenden Bahnknotenpunkt. Wirtschaftlich wurde und wird die Industrie durch Papierherstellung und Metallbearbeitung geprägt. Durch seine Lage fällt die Stadt ins ehemalige Gebiet der Zonenrand-Förderung. Aufgrund der günstigen Verkehrslage sowie der Bedeutung als Grundzentrum und Erholungsort zieht Herzberg – damals wie heute – auch Menschen aus der Umgebung an. Aktuell erhält die Stadt Fördergelder aus dem Sofortprogramm „Perspektive Innenstadt“ des Niedersächsischen Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung.
Wie der Name schon sagt, zielen die Maßnahmen dieser Förderung auf die Entwicklung und Belebung der Innenstadt. Für Herzberg bedeutet dies konkret die Anschaffung eines Kulturcontainers, welcher als mobile Bühne dient sowie kleinere Aufwertungen des Stadtbildes. In diesem Zusammenhang ist auch der „Runde Tisch“ Herzberg entstanden – ein Zusammenschluss von Bürger*innen und Gastronom*innen aus der Innenstadt, Vereinen und Initiativen sowie Vertreter*innen der Stadtverwaltung. Hierbei handelt es sich um ein Beteiligungsformat, welches in den vergangenen Jahren schon zahlreiche Veranstaltungen und Entwicklungsprozesse angestoßen hat.
„Die Leute haben durchgehalten und das ist aus meiner Sicht
beachtlich und auch für andere sehr wichtig“
(Jörg Bremer)
Durch den „Runden Tisch“ wird ein glücklicher Umstand klar: Herzberg am Harz verfügt über eine kritische Masse von jüngeren Erwachsenen, zumeist mit einem Altersdurchschnitt zwischen 30-40 Jahren, die etwas an der Ausgangssituation ändern und die Lebensqualität vor Ort verbessern wollen. Auf deren Initiative ist die (geplante) Umnutzung der ehemaligen Schloss Apotheke zu einer Bar im Sinne eines klassischen Bottom-up-Ansatzes eingeleitet worden. Die Stadtverwaltung und Lokalpolitik in Herzberg begrüßen solche Projekte, die der Stadtentwicklung dienen und Leerstände wiederbeleben. Von öffentlicher Seite werden solche Initiativen nach Kräften unterstützt, um die vorhandenen Entwicklungspotenziale gemeinschaftlich zu heben. Die gute Vernetzung der Gestalter*innen vor Ort sowie der enge Dialog mit der Stadt und den Herzberger Bürger*innen bilden eine wichtige Grundlage, um entsprechende Projekte voranzubringen. Im Gespräch wird immer wieder betont, dass kein Konkurrenzdenken unter den Akteur*innen herrscht und alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Darüber hinaus verweist Jörg Bremer auf die Verbindungen zum Referat Demografie und Sozialplanung des Landkreises Göttingen unter der Leitung von Regina Meyer, die seiner Meinung nach eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Region spielen würde.
Das Gebäude in der Fußgängerzone von Herzberg am Harz war anfangs eine Druckerei, ist zwischendurch noch anderweitig genutzt worden und war danach jahrelang die Schloss Apotheke. Insofern hat das aus dem späten 19. Jahrhundert stammende Haus eine bewegte Vergangenheit. Ende des Jahres 2023 beschloss der „Runde Tisch“ Herzberg das sog. „Winterglühen“ zu veranstalten. Es handelt sich hierbei um eine Veranstaltungsreihe in der Innenstadt, die von Herzberger Bürger*innen, Gastronom*innen und der Stadtverwaltung ins Leben gerufen wurde. In diesem Rahmen öffnete die neue Bar in der ehemaligen Schloss Apotheke erstmals ihre Türen.
Der Eigentümer des Gebäudes, der selbst im Obergeschoss wohnt, wollte schon immer eine Kneipe im eigenen Haus haben. Dieser Wunsch wurde an den Vorsitzenden des Vereins ehrenhafter verein e.V. – mit dem Zweck der Förderung von Kunst und Kultur sowie gemeinnützig soziokulturellen Leben und Veranstaltungen im ländlichen Südharz – herangetragen, der selbst Erfahrungen in der Gastronomie hat. Dadurch kamen Eigentümer und Verein zusammen. Der Verein kümmert sich um den neuen Betrieb der Schloss Apotheke, mietet die Gewerbefläche aber lediglich für die geöffneten Tage an. Hierdurch entstehen keine dauerhaften Kosten für den Verein, der nicht über viele finanzielle Mittel verfügt. In den Sommermonaten ist der Barbetrieb in der Schloss Apotheke eingestellt und zu Beginn war sie nur freitags geöffnet. Seitdem ist die neue Bar zu einem regelmäßigen Treffpunkt für Jung und Alt geworden. Hier treffen sich Menschen jeglicher Couleur, beispielsweise junge Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund oder auch Frauengruppen. Die Bar zieht nicht nur Menschen aus Herzberg an, sondern auch aus der Umgebung.
Was mit dem „Winterglühen“ 2023 und dem „SpringSwing“ 2024 – zwei Veranstaltungen mit Livemusik in der Herzberger Fußgängerzone sowie dem Deutschen Kaiser und der Schloss Apotheke – begann, soll sich jetzt dauerhaft etablieren. Nicht nur der Kneipenbetrieb, sondern auch Veranstaltungen (z.B. Konzerte, Partys) werden von der Bevölkerung bereits gut angenommen. Auch eine anfängliche Skepsis, dass sich in der Schloss Apotheke etwas entwickelt, das nicht zu Herzberg passt, konnte aus dem Weg geräumt werden. Die Stadtjugendpflegerin Simone Standhardt sieht zudem einen weiteren Vorteil der neuen Kneipe: Sie begegnet ihrer Zielgruppe – den Jugendlichen und jungen Erwachsenen – in einem anderen Kontext, was sehr spannend sei. Hierdurch kann sie die Jugendlichen auf Augenhöhe kennen lernen und einen anderen Blick auf die sozialen Strukturen bekommen.
Perspektivisch soll mit dem Verein als Betreiber ein Gewerbe angemeldet werden. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg für Simone Standhardt und die anderen Vereinsmitglieder. Für die Apotheke gibt es bislang keine allgemeine Förderung. Über einzelne Kleinstförderungen aus dem Quartiersbudget, der städtischen Kulturförderung oder aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie Leben“ können jedoch Veranstaltungen und Konzerte finanziert werden. Grundlegend für den Betrieb sind daher ehrenamtliches Engagement und Arbeiten in Eigenregie. Einnahmen aus dem Betrieb fließen direkt zurück in die Renovierung der Räume oder in die Erweiterung des (Getränke)Angebots. Zusätzlich hilft das lokale Netzwerk und unterstützt, wo immer Hilfe benötigt wird. So stammt ein Großteil der Bestuhlung beispielsweise aus dem „Deutschen Kaiser“. Zudem sind die Verbindungen zur Stadtverwaltung und hier insbesondere zu Jörg Bremer klar hervorzuheben. So konnten kleinere Hürden immer schnell und unkompliziert im engen Austausch geklärt werden.
„Ich glaube nicht, dass Leerstandsbelebung oder -umnutzung
im Sachbearbeite-Modus einer Verwaltung verankert sind.
Das sind immer einzelne Projekte und das steht in keinem Lehrbuch
oder in irgendeiner Dienstanweisung.“
(Jörg Bremer)
Ein wesentliches Hindernis für die Sicherung des Kneipenbetriebs stellt der Antrag auf Umnutzung dar. Ein solcher Umnutzungsantrag ist absolutes Neuland für den Verein und Simone Standhardt. Aber auch für die beteiligten Stellen der Stadt- und Kreisverwaltung gibt es hierfür keine Blaupause. Für die Bearbeitung des Vorgangs werden alte Bauzeichnungen aus dem Archiv in Osterode am Harz benötigt. Diese Zeichnungen, die ungefähr aus dem Jahr 1900 stammen, sind wichtig für die Genehmigung der Umnutzung. Es ist jedoch unklar, ob sie ausreichend sind oder noch einmal durch einen Architekten nachgearbeitet werden muss. Die Kosten, die hierbei entstehen würden, wären zu hoch und können vom Verein nicht getragen werden. Dies könnte schlechtesten Falls das „Aus“ für die neue Nutzung der Schloss Apotheke sein. Vielleicht ergibt sich aber eine Lösung im Austausch mit dem Bauamt und ggf. weiteren Behörden, die für alle Beteiligten tragbar ist.
„Es ist ja auch in Ordnung, dass es mal länger dauert.
Man muss sich ja immer an Regeln und Gesetze halten
und wenn eine Vorschrift so ist, dann ist sie so.“
(Simone Standhardt)
Eine Bewilligung der Umnutzung würde im nächsten Schritt die gewerbliche Nutzung veranlassen. Im Zuge dessen könnten ebenfalls Mittel aus der Wirtschaftsförderung als Anschubfinanzierung und zur Instandsetzung des Lokals beantragt werden. Wie es auch ausgeht – bereits jetzt steht fest, dass in der ehemaligen Schloss Apotheke etwas entstanden ist, das sinnbildlich für den Kampf der kleinen Stadt Herzberg am Harz gegen den strukturellen Wandel steht: ein neuer Ort von Bürger*innen für Bürger*innen, der den Gemeinschaftssinn stärkt und hoffentlich langfristig zur Belebung der Innenstadt beiträgt.
Kimberley Schröder zeigte uns den ebenfalls in Herzberg am Harz gelegenen Deutschen Kaiser und führt uns durch ein geschichtsträchtiges Fachwerkgebäude. Schon die Eingangstür zum Gasthaus und die dahinterliegende Diele mit der imposanten Eichentreppe waren ein besonderer Blickfang. Ebenso eindrucksvoll war jedoch,mehr über die Geschichte des Deutschen Kaisers und was aus ihm geworden ist. Sowohl die Begehung der Innenräume als auch der Blick auf die Fachwerkfassaden, ob von der Fußgängerzone aus oder aus dem Innenhof des Gasthauses, machten klar, mit welcher Liebe zum Detail und dem Erhalt der alten Bausubstanz hier restauriert wurde.
Das großvolumige Gebäude liegt unweit vom Herzberger Schloss, am Ende der Fußgängerzone, welche zum Marktplatz, dem Juessee oder dem Kurpark führt. Der imposante Fachwerkbau stammt aus dem Jahr 1654 wurde somit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg erbaut. Er steht im Vorwerk des Schlosses und war einst das Zuhause der fürstlichen Mundköche. Zudem diente er als Herberge für die Entourage der fürstlichen Besucher*innen. Beim Deutschen Kaiser handelt es sich um ein stark ortsbildprägendes Gebäude, welches sich seit 2010 im Besitz der Familie Schröder befindet. Bevor diese es erwarb stand es circa 25 Jahre leer. Mit Hilfe einer breiten Finanzierung haben Kimberley und Stefan Schröder den Ort wiederbelebt und neben einer Gastronomie einen vielseitigen Veranstaltungsort für die Stadt Herzberg am Harz geschaffen. Für die Zukunft ist eine Werkstatt im Haus geplant, in der traditionelle handwerkliche Workshops stattfinden sollen. Zur Finanzierung der umfangreichen Sanierung des Ausbaus erhält Familie Schröder zusätzlich zu ihrem Eigenkapital eine Vielzahl von Förderungen. Ein bedeutender und der wohl größte Anteil stammt aus dem LEADER-Programm. Zusätzlich flossen Mittel aus der Kommune, der Kulturförderung sowie eine KfW-Förderung in das Projekt. Was besonders zu bemerken und Kimberley und Stefan Schröder bestimmt auch mit Blick auf die Finanzen in die Karten spielte ist, dass viele Materialien, vor allem die alten Eichenbalken, wiederverwertet werden konnten. Die hierdurch eingesparte sog. graue Energie stellt einen wichtigen Nachhaltigkeitsaspekt darstellt.
Gute Verbindungen zur Stadt Herzberg am Harz, der Unteren Denkmalschutzbehörde in Osterode am Harz und der LEADER-Region Osterode am Harz waren für die Entwicklung des Deutschen Kaisers von großer Bedeutung. In Bezug auf die Akquise von Fördermitteln war der Kontakt zur Regionalmanagerin Anja Kreye und Jörg Bremer vom Stadtmarketing der Stadt Herzberg am Harz besonders hilfreich. Ein großes Projekt wie der Deutsche Kaiser wäre ohne die Unterstützung in der Region und durch Fördergelder nur schwer zu realisieren. Ein guter Austausch und eine starke regionale Zusammenarbeit sind in der Regel der Schlüssel für gelingende Orts- und Regionalentwicklung.
Der Deutsche Kaiser steht für gelungene Stadt- und Innenentwicklung in Herzberg am Harz. Eine Parallele zur Schleiferei Zwei in Sieber kann darin gesehen werden, dass es Kimberley und Stefan Schröder zurück in die Heimatstadt führte und auch hier ein frischer Impuls von außerhalb zu einer Entwicklung in der Stadt führte, zu der es sonst vielleicht nicht gekommen wäre. Mit einer Vision, Beharrlichkeit, gewissem Mut zum Wagnis und einem Blick für die regionale Baukultur und Tradition, haben sich zwei junge Menschen der Aufgabe gestellt, ein Stück Geschichte der Stadt Herzberg am Harz zu erhalten und das Gebäude wiederzubeleben und somit auch die Lebensqualität vor Ort ein Stück weit zu steigern.
Deutscher Kaiser
Kimberley und Stefan Schröder
Hauptstraße 1
37412 Herzberg am Harz
+49 (0) 5521 9988200
info@deutscherkaiser-herzberg.de
www.deutscherkaiser-herzberg.de
Im Gespräch mit Hartmut Windels haben wir uns die Schleiferei Zwei in Sieber zeigen lassen. Der Hamburger Architekt führte uns durch das historische Industriegebäude. Er und seine Frau Friederike sind für einen Urlaub aus Hamburg in den Harz gekommen und haben sich dazu entschlossen Verantwortung in der Region zu übernehmen.
Die Schleiferei II wurde im Jahr 1896 erbaut und war eine von drei Holzschleifereien entlang des Bachs Sieber, die Holzstoff für die nahegelegene Papierindustrie in Herzberg herstellten. Sie besteht aus dem Hauptgebäude, in dem die Produktion stattfand, und einem Kesselhaus. Eine alte Wasserturbine befindet sich noch immer in einem bachseitigen Anbau des Hauptgebäudes, kann aber leider aufgrund des fehlenden Wassernutzungsrechts nicht mehr genutzt werden.
Während eines Urlaubs im Harz entdeckten Friederike und Hartmut Windels das zum Teil verfallene Industriedenkmal. Mitte 2021 erwarben sie das Gebäude samt Grundstück, entwickelten die Teilruine und brachten Leben zurück in die historischen Gebäude. Es entstanden insgesamt sechs Ferienwohnungen, wovon sich eine im ehemaligen Kesselhaus befindet, sowie eine Eventfläche. Es war dem Ehepaar Windels wichtig, den industriellen Charme des Gebäudes in Teilen zu erhalten und dass sich sowohl Altes als auch Neues wiederfinden lassen. Dies lässt sich an der Fassade des Gebäudes, in der Gestaltung der Innenräume, aber auch bei der Betrachtung des Gesamtensembles erkennen. Angrenzend an die Eventfläche befindet sich ein Innenhof, der von den Außenmauern eines ehemaligen Gebäudeteils umgeben ist. Hierbei wurde sich bewusst dafür entschieden, die Ruinenteile stehen zu lassen, um daran zu erinnern, in welchem Zustand das gesamte Gebäude war. Die Finanzierung setzte sich hauptsächlich aus Eigenmitteln, mit einer kleineren Förderung aus dem Programm „Bergdörfer-Region“ (ZILE) und einer KfW-Förderung zusammen. Nach Abschluss der Sanierung im Sommer 2023 öffneten Friederike und Hartmut Windels die Schleiferei Zwei erstmals für Tourist*innen. Der Göttinger Literaturherbst 2024 entdeckte diesen besonderen Ort direkt an der Sieber und veranstaltete hier eine Lesung.
Durch das Engagement der Familie Windels wurde ein seit bereits langer Zeit leerstehendes Industriegebäude vor dem weiteren Verfall bewahrt und wiederbelebt. Damit haben sie einen Beitrag zur Entwicklung der Region geleistet und ein Stück Geschichte der Stadt Herzberg am Harz gerettet. Durch den Tourismus und die Veranstaltungen wird das Gebäude, mit seinem Mix aus Altem und Neuem, für die Menschen aus der Region und von außerhalb erlebbar gemacht. Zudem zeigt sich am Beispiel der Schleiferei Zwei welch positiver Einfluss durch Menschen und Engagement von außerhalb in eine Region getragen werden kann. Manchmal braucht es frische Impulse für ländliche Räume, die sich in einer strukturellen Veränderung oder sogar einer Krise befinden.
Schleiferei Zwei
Friederike und Hartmut Windels
An der Sieber 1
37412 Herzberg am Harz
+49 (0) 175 4119429
info@schleiferei-zwei.de
www.schleiferei-zwei.de
Laut Jörg Bremer ist die Innenstadt für das heutige Herzberg eigentlich zu groß und dieser Umstand mache es schwer bis unmöglich, sie vollständig wiederzubeleben. Kurz gesagt: Es gibt zu viel Raum für zu wenige Menschen. Bei der Entwicklung sollte vermehrt über Alternativen wie z.B. „Insellösungen“ nachgedacht werden, was derzeit schon praktiziert wird. Hieraus ergibt sich das Problem, dass die einzelnen Inseln in der Innenstadt – wie beispielsweise der „Deutsche Kaiser“ oder die ehemalige Schloss Apotheke – zwar für sich funktionieren, sich aber kein großes Gesamtgefüge ergibt. Einerseits brauche es ein neues Konzept für die Innenstadt. Andererseits seien einige rechtliche und strukturelle Stellschrauben zu drehen, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen. So sieht die Bausatzung für den Innenstadtbereich seit jeher vor, dass für Gebäude eine doppelte Nutzung mit Gewerbe im EG und Wohnraum in den darüber liegenden Stockwerken verpflichtend ist. Eine Änderung dieses planerischen Grundsatzes wäre zeitgemäß und würde die Belebung der Innenstadt deutlich vereinfachen. Zudem kommt Jörg Bremer auf die Vereinslandschaften zu sprechen, die neu gedacht werden müsste. Denn Vereine, wie der ehrenhafte verein e.V. in Herzberg, schätzt er für die ländlichen Räume und deren Entwicklung besonders wichtig, auch wenn sie eher untypisch sind. Jedoch engagieren sich immer weniger Menschen in Vereinen. Hier sollten flexibilisierte Strukturen oder angepasste Vereinsziele in Richtung Gemeinwohlorientierung und Verbesserung der Lebensqualität Einzug halten, um mehr Nachwuchs für ein Engagement zu motivieren.
„Das Thema Innenstadtbelebung klingt auf dem Papier immer schlüssig.
Da ist ganz viel Raum, da sind vielleicht noch viele Menschen,
das muss man ja einfach nur zusammenbringen.
Dafür kann man Fördermittel akquirieren und Projekte starten,
aber am Ende hängt es an der Bereitschaft der Einwohner,
das alles mit Leben zu füllen.“
(Jörg Bremer)
Leider lässt sich erkennen, dass nicht alle Bürger*innen Interesse an der Wiederbelebung ihrer Innenstadt zeigen. Durch die Förderung im Rahmen von Perspektive Innenstadt wurde dies zuletzt deutlich. Eigentümer*innen hatten die Möglichkeit, für ihre Immobilien Architektenleistungen in Anspruch zu nehmen. Hierzu zählten die Begutachtung und das Anfertigen einer Entwurfszeichnung für ihre Gebäude. Diese Leistungen sind im gesamten Innenstadtbereich lediglich dreimal in Anspruch genommen worden. Den Verantwortlichen der Stadt wurde dadurch klar, dass die Eigentümer*innen im Grunde ihre Ruhe haben wollen. Ein Problem kann aber auch in der mangelnden Kommunikation zwischen der Verwaltung und den Bürger*innen gesehen werden. Auch das zum Teil hohe Alter der Eigentümer*innen ist ein Hindernis, da sie nicht mehr unbedingt bereit sind, selbst Teil eines neuen Entwicklungsprozesses zu werden. Wie bereits erwähnt, ist die Stadt um aktive Unterstützung für Initiativen und Einzelpersonen bemüht. Manche Prozesse können durch bürokratische Hürden und mangelnde Kompetenzen aber auch ausgebremst werden, wie einzelne Gestalter*innen berichteten.
Herzberg am Harz steht exemplarisch für viele kleinere Städte in ländlichen Räumen, die sich dem strukturellen Wandel stellen müssen. Trotz sichtbarer Herausforderungen, wie Leerstände, einer zu groß dimensionierten Innenstadt und teils schleppender Verwaltungsprozesse, zeigt die Stadt vielfach Mut zur Veränderung. Es ist vor allem das Engagement einer kritischen Masse junger Erwachsener, die – unterstützt von Förderprogrammen und einer grundsätzlich offenen Stadtverwaltung – neue Impulse setzen. Projekte wie die Umnutzung der Schloss Apotheke oder die Wiederbelebung historischer Gebäude wie dem „Deutschen Kaiser“ und der Schleiferei Zwei zeigen, dass kreative Ideen und zivilgesellschaftliche Beteiligung Wirkung zeigen können. Gleichzeitig wird deutlich, dass erfolgreiche Stadtentwicklung langfristiges Denken, flexiblere Strukturen und vor allem die Bereitschaft zur Zusammenarbeit aller Beteiligten erfordert. Herzberg am Harz ist dabei auf einem guten Weg – aber noch lange nicht am Ziel.
„Es hängt am Ende doch viel an einzelnen Personen,
sei es in der Verwaltung oder im Verein,
dass entweder das richtige Know-How da ist
oder dass man es finden kann.“
(Simone Standhardt)
Die vielen kleinen, meist ehrenamtlich getragenen Initiativen stehen sinnbildlich dafür, dass Aufbruch mitunter kreative Lösungen braucht. Sie schaffen neue Begegnungsräume, stärken das Gemeinschaftsgefühl und geben der Stadt ein frisches Gesicht. Wenn dieser Geist der Zusammenarbeit weiterhin erhalten bleibt und gezielt unterstützt wird, kann Herzberg am Harz nicht nur Leerstände füllen, sondern auch Zukunft gestalten – lebendig, vielfältig und gemeinschaftlich.
Bleiben Sie auf dem Laufenden über erfolgreiche Praxisbeispiele, Veranstaltungen, Förderprogramme rund um Leerstandaktivierung und Innenentwicklung.
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