Start  ➔  Veranstaltungen  ➔  Online-Praxiswerkstatt

Online-Praxiswerkstatt

In dieser Veranstaltungsreihe beschäftigen wir uns mit Aspekten der Innenentwicklung und Leerstandsaktivierung auf der Ebene eines Dorfes oder einer Region. Wir laden Praxisakteur*innen ein, von der Situation in ihrem Ort und ihrer Herangehensweise zu berichten. Wie sind sie selbst aktiv geworden? Welche Instrumente und Förderungen haben sie genutzt? Wer hat sich beteiligt? Welche Rolle hat die kommunale Seite gespielt? Auch die Perspektive der Forschung beziehen wir mit ein.

Rückblick Online-Praxiswerkstatt
Baukultur in ländlichen Räumen und graue Energie

Kompetenz-Raum für Fragen und Austausch

Wir haben die beiden großen Themen Baukultur und graue Energie kombiniert. Denn wenn bestehende, leerstehende Gebäude saniert und traditionelle Bauweisen bewahrt werden, bleiben Ressourcen erhalten und Energieverluste werden vermieden. Gleichzeitig entstehen bezahlbarer Wohnraum oder – oftmals durch neue Nutzungen – Räume für soziale Begegnung. Auch ist Baukultur eng mit einer Stärkung lokaler Identität verbunden.

Dokumentation

Dr. Leo Bockelmann, Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, führte in das Thema „Baukultur in ländlichen Räumen – Lokale Potenziale nutzen und stärken“ ein und vermittelte ein breiteres Verständnis von Baukultur, das auch soziale Aspekte einbezieht. Dafür nutzte er die Davos-Erklärung von 2018 und wies auf wichtige Akteure wie die Bundesstiftung Baukultur hin. Als anhaltende Herausforderungen nannte Bockelmann die große Flächeninanspruchnahme durch Bauen wie auch die stark verbreiteten Abrisspraktiken, durch die hohe Kosten entstehen. Er benannte das Förderprogramm Dorferneuerung als zentrale Maßnahme für den Umgang mit dem Strukturwandel ländlicher Räume, der das Erscheinungsbild der Dörfer verändert hat. Anhand seiner Forschungsergebnisse zu Industriegebäuden im Vogtland erläuterte Bockelmann die hohe ideelle Bedeutung des industriekulturellen Erbes für die Menschen in der Region.

„Baukultur geht weit über Bauen und Gestaltung hinaus. Sie umfasst vielfältige Maßstabsebenen und eine soziale Dimension. Die Reduktion auf Ikonen und Denkmale als identitätsstiftend greift zu kurz. Es ist mehr Wissen über bedeutende Alltagsorte notwendig.“

Welche Bedeutung „Graue Energie als Ressource der Regionalentwicklung“ hat, erläuterte Carolin Schmidt vom Institut für Graue Energie e.V., das sich für einen neuen Umgang mit Altgebäuden insbesondere gegen Abriss einsetzt. Denn die Baubranche verursacht 37 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes (Global Status Report for Buildings and Construction, 2024). Ausgehend von der Definition grauer Energie als Primärenergie, die für Herstellung, Transport und Verbauen von Baustoffen aufgewendet wird, hob Schmidt auch den Erinnerungs- und Identitätswert von baukulturell bedeutsamen Gebäuden und traditionellen Bauweisen hervor, der durch Abriss verloren geht. Potentiale des Erhalts zeigte sie anhand von gelungenen Beispielen, u. a. einem Reallabor für eine neue Nutzung des Getreidespeichers in Oßmannstedt, Thüringen oder einer ehemaligen Scheune in Dahnsdorf, die nun für Kulturveranstaltungen genutzt wird.

„Nutzen Sie den Begriff der Grauen Energie, um für den Bestandserhalt zu argumentieren und inkludieren Sie dabei auch kulturelle und soziale Dimensionen. Trauen Sie sich auch schrittweise zu denken und zu entwickeln, es braucht nicht immer die komplette Vision für ein ganzes Industrieareal. Es reicht manchmal, mit einem Gebäudeteil anzufangen.“

Erfahrungen und Handlungsempfehlungen für nachhaltiges Bauen aus der Eifel teilte Sabine Strunk von der Initiative baukultur eifel, die eng verknüpft mit der Denkmalpflege und der Dorferneuerung beim Eifelkreis Bitburg-Prüm angesiedelt ist. Unter dem Titel „Ist das Baukultur oder kann das weg?“ stellte sie deren Konzept für Beratung und Sensibilisierung für den Erhalt lokaler Baukultur vor, u. a. die Unterstützung durch zentrale Akteure vor Ort wie der Architektenkammer nutzen oder den Einsatz bewährter Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit z. B. Tag der offenen Tür. Vor allem die direkten persönlichen Kontakte und die Zusammenarbeit von privaten Investoren und der Kommune nannte Strunk als Erfolgsrezept. Dadurch konnten sie mehrfach „Wiederholungstäter“ für die denkmalgerechte Sanierung gewinnen und beispielsweise im Ortsteil Baustert die Eigentümer für die Vision gewinnen, Ferienwohnungen zu schaffen und so ein Gebäude-Ensemble vor dem Abriss bewahren.

„Baukultur ist eine Haltung. Wir sehen keine Probleme, wir sehen Herausforderungen, die wir mit Hilfe der Förderung aus der Dorferneuerung und der Unterstützung unseres lokalen Netzwerks angehen. Meist gelingt eine Lösung.“

Einblicke in die Praxis der Sanierung und Erhaltung von Baukultur gab Hartmut Windels Architekt und Bauherr der Schleiferei Zwei, in dem er die „Revitalisierung eines Industriedenkmals im Harz“ vorstellte. Das ehemalige Papierfabrik-Gebäude im Siebertal bei Herzberg am Harz, Niedersachsen, durch jahrzehntelangen Leerstand zum Lost Place verfallen, wurde in seiner ursprünglichen Form erhalten. Auflagen des Denkmalschutzes betrafen auf die Außenwirkung sowie den Erhalt der ehemaligen Turbinenanlagen. Auch im Innenraum wurde der ursprüngliche Charakter bewahrt, d. h. es erfolgte kaum Abriss, und Baumaterial wurde recycelt, so Windels. Entstanden sind sechs Ferienwohnungen und ein Außenbereich, der so gestalteter wurde, das sich das Industriedenkmal in die Landschaft einfügt. Windels erläuterte, dass für die Finanzierung keine Fördermittel des Denkmalschutzes genutzt wurden aufgrund des langwierigen Prozederes. Stattdessen flossen Zuschüsse der KfW-Bank sowie eine Förderung im Rahmen der Integrierten Ländlichen Entwicklung ein.

„Wir haben enorm viel positives Feedback aus dem Dorf zu unserem Projekt erhalten. Die Menschen erzählen uns ungefragt Geschichten aus ihrem Arbeitsleben, denn es gibt noch Menschen, die hier in dieser Schleiferei gearbeitet haben. Das ist für uns immer sehr ergreifend.“

Ihre Erfahrungen bei der Sanierung einer Hofanlage teilten das Ehepaar Serpil und Kai Gausmann. Die Bauherren und Unternehmer berichteten, wie sie seit nunmehr zehn Jahren einen ehemaligen großen Resthof in Evensen, Ortsteil von Bückeburg (Nordrhein-Westfalen) vor allem in Eigenleistung saniert und so neue Wohnungen für mehrere Generationen geschaffen haben. Die alte Scheune haben sie für ihren Gewerbebetrieb umgenutzt. Gausmann erläuterte, dass sie sich von Anfang an um die Vernetzung mit Gleichgesinnten gekümmert haben, z. B. in der Interessengemeinschaft Bauernhaus. Ohne eine Gemeinschaft von Fachleuten und Laien gehe es nicht, laut Gausmann eine ihrer zentralen Erkenntnisse. Durch Kontakte und Zusammenarbeit konnten sie traditionelle Baufähigkeiten autodidaktisch erlernen und so ihr Ziel erreichen: den denkmalgeschützten Hof wieder in seine ursprüngliche Gestalt zu bringen und typische Elemente der Baukultur – wie die Schaumburger Mütze an der Außenfassade – zu erhalten. Wichtig ist ihnen auch, anderen ihren Weg zu zeigen.

„Was uns bei diesem Riesenprojekt geholfen hat, ist tatsächlich Geduld zu haben und auch Mut. Große Projekte brauchen einfach Zeit und Zuversicht, auch wenn wir manchmal denken, das ist ganz schön viel, was wir hier machen.“

Rückblick Online-Praxiswerkstatt
„Baurecht in ländlichen Räumen“

Kompetenz-Raum für Fragen und Austausch

Gerne haben wir das Thema Baurecht aufgegriffen, als wir merkten, wie viel Klärungsbedarf besteht. Die Zahlen haben uns Recht gegeben: Viele Personen haben sich angemeldet, in der Spitze waren ca. 230 Teilnehmer*innen im Zoom-Raum dabei.

Dokumentation

Matthias Simon, Direktor Bayerischer Gemeindetag, Referat IX Baurecht, Landesplanung, führte in das Baurecht in ländlichen Räumen ein. Er betonte aus seiner langjährigen Beratungspraxis die hohe Bedeutung des Zusammenwirkens zwischen Bauaufsicht und kommunaler Verwaltung für den erfolgreichen Umgang mit Leerstand. Dabei stellte er u. a. die partizipative Erarbeitung von Konzepten und strategische Umsetzungen mit gebündelten Instrumenten in den Mittelpunkt und benannte den Einsatz eines Grundsatzbeschlusses als gebotenes Mittel zur richtigen Zeit. Mit den Paragraphen 34 und 35 Baugesetzbuch erläuterte er die wesentlichen Rechtsgrundlagen und führte in Instrumente wie die Bauleitplanung, das Satzungsvorkaufsrecht nach § 25 BauGB, Bestandsüberplanung und die Sanierungsatzung ein.

Alina Gehrke, Agrar-Ingenieurin und Beraterin bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, erörterte den relevanten Rechtsrahmen für den Außenbereich (§ 35) und zeigte Möglichkeiten für die Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude. Sie ging auf die relevanten Definitionen des Baugesetzbuches für das Bauen im Außenbereich ein. Deutlich wies sie daraufhin, dass Gespräche mit der Bauaufsicht vor Ort immer hilfreich seien, um die individuellen Anliegen zu klären und dazu auch die Gemeindevertretung miteinzubeziehen. Bei fachlichen Fragen empfahl Frau Gehrke, die Beratungsangebote der Landwirtschaftskammern in der eigenen Region als wichtige Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Andrea Nickisch vom Netzwerk Zukunftsorte warb in ihrem Beitrag für die Erprobung einer konzeptbasierten Vergabe von Gebäuden nach gemeinwohlorientierten Kriterien. Sie erläuterte, worauf im Vergaberecht zu achten ist und zeigte die Schritte von der Erarbeitung der Kriterien über deren Bewertung durch ein Gremium bis zur Evaluierung auf. Sie berichtete von der praktischen Umsetzung aus Zehdenick, wo diese alternative Möglichkeit, Leerstände nach Qualität und gemeinwohlfördernd zu aktivieren, erprobt wurde. Dort entstanden in der ehemaligen Schule kooperative Wohn- und Arbeitsformen. Die Kommune gehört wie viele weitere zum Starke Orte-Netzwerk.

Christin Neujahr, Leiterin Standortmarketing, Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung bei der Stadt Angermünde, gab Einblicke in die Umsetzung vor Ort und stellte das Projekt „Haus mit Zukunft“ vor. Der Stadt ist es durch die Beteiligung im Starke Orte-Netzwerk gelungen, ein Regionallabor mit jungen Studierenden durchzuführen und so Pionier*innen mit neuen Ideen in das Haus zu holen. Bei den Projekten im Haus steht das Gemeinwohl im Vordergrund, sodass vielfältige Möglichkeiten zur Teilhabe der unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen sowie auch Kunst, Kultur und Bildung angeboten werden. Das Haus soll sich in Zukunft als Gründungs- und Innovationszentrum etablieren.

Joseph Knie, Leiter Bauamt der Gemeinde Wiesenburg/Mark, berichtete von den Aktivitäten zur Aktivierung der Leerstände in seiner Gemeinde und beschrieb, wie das Instrument des gemeindlichen Vorkaufsrechtes beim Ankauf der seit Jahrzehnten leerstehenden Alten Brennerei genutzt wurde. Der hohe Finanzierungsbedarf stellte die zentrale Herausforderung dar. Da die zu dem entsprechenden Zeitpunkt noch eine vorläufige Haushaltsführung bestand, war es möglich, dass die große Summe noch aufgenommen werden konnte, erläuterte Knie. Er sensibilisierte dafür, bei Problemimmobilien nicht zu lange zu warten und gegebenenfalls als Kommune auch die Möglichkeit einer Zwangsversteigerung anzustreben.

Die Online-Praxiswerkstatt schaffte Raum für Verständnis für die komplexen Rahmenbedingungen, zeigte die vielfältigen Möglichkeiten, die das Baurecht Kommunen in ländlichen Räumen bietet, und machte Mut für die Umsetzung. Im Chat wurde die große Kompetenz unter den Anwesenden deutlich. So konnten Fragen z. T. direkt unter den Teilnehmenden geklärt werden. Konkrete Fragen, u. a. zur Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude, beantworteten die Referent*innen fundiert. Angesprochen wurden auch die Herausforderungen der längerfristigen Finanzierung bei der Konzeptanwendung wie auch beim Vorkaufsrecht.

Rückblick Online-Praxiswerkstatt
„Wohnen in ländlichen Räumen“

Austausch auf Augenhöhe: Ein echter Gewinn!

Wie groß die Relevanz von Leerstand und seinen Potenzialen für eine Belebung ländlicher Räume ist, konnten wir bei unserer ersten Online-Praxiswerkstatt „Leerstand gestalten für lebendige Orte“ zum Thema „Wohnen in ländlichen Räumen“ am 03.12.2024 erleben.

In der Spitze verfolgten fast 170 Teilnehmer*innen im Zoom-Raum die Impulse aus Forschung, Praxis und Politik und brachten ihre Fragen und Anmerkungen ein.

Dokumentation

Dr. Annett Steinführer, Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, stellte aktuelle Zahlen zu ländlichem Wohnen vor und ging auf Wanderungsbewegungen zwischen ländlichen und städtischen Räumen ein. Die Zahlen zeigten, dass nicht nur junge Familien auf Eigenheimsuche auf’s Land ziehen wollen, sondern auch Bedarf an Mietwohnungen für z. B. Einpersonenhaushalte besteht. Ihr Plädoyer an ländliche Praxisakteure: Diese Bedarfe sollten sie im Zuge der Leerstandsaktivierung vor Augen haben.

Rene Schernikau, hauptamtlicher Bürgermeister der Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck im Norden der Altmark, Sachsen-Anhalt, teilte seine Erfahrungen aus der interkommunalen Initiative „Luxus der Leere“, in der seit 2014 insgesamt zehn Kommunen zusammenarbeiten. Am Anfang stand ein klassisches Leerstandskataster, das zu einem Online-Portal mit Immobilien-Börse weiterentwickelt wurde. Heute stellt die Initiative „Luxus der Leere“ ein tragendes Element für die Entwicklung der beteiligten Kommunen dar, weil durch die Kooperation die Region sichtbarer geworden ist.  Auch Synergien bestehen, z. B. in Bezug auf Digitalisierung der Verwaltung: Über das GIS-gestützte Portal können auch Bebauungspläne verwaltet werden. Genauso wichtig, so Schernikau, bleibt das persönliche Gespräch.

In der Landauer Leerstandsinitiative e.V. engagieren sich Jenni Follmann und Lisa Bensel seit 2022 als Initiatorinnen für die Aktivierung von Leerstand in der Stadt Landau, Landkreis Südliche Weinstraße in Rheinland-Pfalz. In der Praxiswerkstatt berichtete Lisa Bensel über ihr Reallabor zum Konzept des Zwischenwohnens, mit dem die Initiative langjährigen Leerstand auf Zeit mit Leben füllt. Auf diese Weise trägt sie zum Erhalt der Gebäudesubstanz bei und schafft bezahlbaren gemeinschaftlichen Wohnraum. Mit welchen Formaten sie dabei den Kontakt zwischen Eigentümer*innen und Interessierten herstellt, können Sie hier auf unserer Webseite nachlesen.

Die Eckpunkte der im Bündnis Bezahlbarer Wohnraum ressortübergreifend und partizipativ erstellten Handlungsstrategie Leerstandaktivierung brachte Tilman Buchholz vom federführenden Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen in die Veranstaltung ein. Auch verwies er auf die Programme der Städtebauförderung, die auf vielfältige Weise zur Leerstandsaktivierung beitragen können.

Förderansätze im Bundesprogramm Ländliche Entwicklung und Regionale Wertschöpfung (BULEplus) stellte Judith Conrad, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, vor. Als eine der Vertreterinnen im Bündnis Bezahlbarer Wohnraum betonte sie die zentrale Aufgabe, Leerstand für Wohnzwecke zu aktivieren.

Die Online-Praxiswerkstatt bot Raum für Austausch auf Augenhöhe. Im Chat wurde auf Hemmnisse durch das Steuerrecht sowie das Baurecht, u. a. bei Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude, hingewiesen. Konkret an die Vertreter*innen der Bundesministerien richtete sich die Frage nach Förderprogrammen für die Umnutzung z. B. von Gewerbeimmobilien zu Wohnzwecken. Auch die in der Städtebauförderung notwendige Ko-Finanzierung durch kommunale Eigenmittel wurde kritisch betrachtet.

Logo-Footer

Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden über erfolgreiche Praxisbeispiele, Veranstaltungen, Förderprogramme rund um Leerstandaktivierung und Innenentwicklung.