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Synagoge Felsberg

Ein Beispiel für eine gelungene Wiedernutzung, Bewahrung historischen Erbes und den Erhalt von Baukultur

Die historische Kleinstadt Felsberg im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis wurde im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Sie liegt an der Eder und wird von der Felsburg, einer aus dem 11. Jahrhundert stammenden mittelalterlichen Burgruine, überragt, die der Stadt ihren Namen gab. Die Kleinstadt und die Region sind geprägt von Fachwerkhäusern und einer abwechslungsreichen Umgebung, die sowohl für die Bevölkerung als auch für den Tourismus attraktiv sind.

Die Mitte des 19. Jahrhundert im klassizistischen Stil erbaute Synagoge steht im historischen Ortskern von Felsberg, in einer der vielen schmalen Gassen der Kleinstadt. Bevor sie von 2013 bis 2022 leerstand, wurde sie als Gastwirtschaft und später als Restaurant, mit darüber liegenden Wohnräumen, genutzt. In ihren Fenstern spiegelt sich die Felsburg und die evangelische Stadtkirche ist nur einen Steinwurf weit entfernt. Bei dem Gebäude der alten Synagoge handelt es sich um eines der wenigen und frühesten aus Stein gebauten historischen Gebäude der Stadt. Dies alles macht auf den ersten Blick klar, welche Bedeutung es für den Ort hatte. Hier, in der Ritterstraße 3, haben wir uns mit Christopher Willing, dem ersten Vorsitzenden des Vereins „Rettet die Synagoge Felsberg“ zum Gespräch getroffen. Wir wollten von ihm mehr über die Motivation zur Wiederbelebung der Synagoge und die Erfolgsfaktoren erfahren. Auch über Erschwernisse und Hürden, mit denen während des Prozesses umzugehen war, haben wir gesprochen.

Schaffung eines Ortes gelebter jüdischer Geschichte und Kultur

Hessen spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte des Judentums in Deutschland, insbesondere durch das ausgeprägte Landjudentum. Um 1900 existierten hier rund 450 jüdische Gemeinden, etwa ein Drittel aller jüdischen Gemeinden im Deutschen Reich. Diese hohe Dichte geht auf die Einladung des Landgrafen von Hessen-Kassel nach dem Dreißigjährigen Krieg zurück, um Bevölkerungsverluste auszugleichen. Im ländlichen Raum, etwa in Felsberg, wo Juden bis zu 20 % der Bevölkerung stellten, wurde jüdisches Leben sichtbarer Bestandteil des Alltags in den Gemeinden. Im Vergleich dazu war das Landjudentum in anderen Teilen Deutschlands, etwa im Osten Deutschlands oder in Niedersachsen, nahezu unbekannt, abgesehen von vereinzelten Ausnahmen wie, im Falle von Niedersachsen, in Ostfriesland.

Die Synagoge zeugt von der Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Felsberg. Ihre Errichtung war ein Zeichen von Wohlstand, gefördert durch Spenden ausgewanderter Unterstützer*innen. An der Einweihungsfeier im Jahr 1847 nahmen 300 Personen teil, während sich circa 1.000 weitere vor der Synagoge versammelten – beachtlich für eine Kleinstadt dieser Größe, die zu dieser Zeit knapp 200 jüdische Gemeindemitglieder hatte.

Nach der Verfolgung und Enteignung der jüdischen Gemeinde im Nationalsozialismus – das Gebäude blieb im Gegensatz zum Innenraum dank des beherzten Eingreifens weniger Anwohner*innen weitgehend unversehrt – begann im Jahr 2007 eine neue Phase: Der geplante Rückkauf des, als Gastronomie genutzten, Gebäudes und die Wiedernutzung der Synagoge als Gebetshaus. Ein erstes Konzept stellte Herr Willing den Vertreter*innen der Stadt im Jahr 2008 vor. Nach der Gründung des Vereins „Rettet die Synagoge Felsberg“ im Jahr 2013 und der Bewilligung von Fördergeldern im darauffolgenden Jahr, kaufte der Verein das Gebäude im Jahr 2016 endgültig an. Der Restaurantbetrieb wurde bereits im Jahr der Vereinsgründung eingestellt, sodass das Gebäude seit 2013 leerstand.

Felsberg und angrenzendes Umland
Synagoge Felsberg
Gedenktafel vor der Synagoge
Bauherr und Vereinsvorsitzender Christopher Willing (© 2022 Christopher Willing)

„Für mich ist es eine Herzensangelegenheit, das deutsche Judentum erlebbar zu machen und nicht nur auf die zwölf Jahre der NS-Zeit zu reduzieren, sondern die 900-jährige jüdische Geschichte in der Region zu betonen.“

Auf Initiative des Vereins wurde, wie bereits erwähnt, in den Jahren 2007 und 2008 ein umfassendes Konzept entwickelt, das vier Säulen umfasst: Die Gemeinde, den interreligiösen Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen, die jüdische Geschichte in Nordhessen und die denkmalgerechte Wiederherstellung. Nach umfangreichen Bau- und Sanierungsarbeiten in den Jahren ab 2016 wurde die Synagoge im Jahr 2022 als Gebets- und Kulturstätte wiedereröffnet. Dies war ein Ereignis von immenser Bedeutung – nicht nur für die kleine Stadt Felsberg, sondern auch für die gesamte Region. Über die religiöse Nutzung hinaus besitzt das Gebäude aufgrund seiner Bauweise im klassizistischen Stil auch kulturelle Bedeutung.

Förderung und Engagement als Schlüssel zum Erfolg

Der entscheidende Startschuss zur Wiederbelebung der Synagoge fiel 2014, als Fördermittel vom Land Hessen und weiteren Institutionen bewilligt wurden. Mit Unterstützung der Regionalmanagerin der LEADER-Region Mittleres Fuldatal, Marion Karmann, und der Stadt Felsberg als Antragsteller, erhielt der Verein zur Rettung der Synagoge die nötigen Mittel für die Restauration. Die Gründung des Vereins war eine Bedingung, dass Fördermittel ausgezahlt werden konnten. Ein Großspender, dessen Zusage das Vertrauen der Stadt gewann und die Umsetzung erst ermöglichte, sorgte für die zügige Realisierung der Umbaumaßnahmen. Er bestand darauf, dass die Bauarbeiten effizient und ohne Verzögerungen durchgeführt wurden. Ermöglicht wurde dies durch die umfassenden Netzwerke des privaten Förderers und Christopher Willings.

Mit einem Gesamtvolumen von 1,35 Millionen Euro, wovon über 800.000 Euro durch Förderungen gedeckt wurden, war die Finanzierung eine komplexe Herausforderung, die dank der Unterstützung vieler Akteur*innen gemeistert werden konnte. Unter anderem unterstützten auch das Innenministerium des Landes Hessen und die Deutsche Stiftung Denkmalpflege das Projekt. Zusätzlich sind mittlerweile über 700.000 Euro an Spendengeldern eingegangen. Diese und weitere Spendengelder sowie kleinere Kulturförderungen und Einnahmen aus Veranstaltungen stellen einen wesentlichen Beitrag zur Deckung laufender Kosten dar.

„Nach zwei Jahren hatten wir über 25 Artikel in der HNA über das Projekt und was wir alles machen. Das half, einem potenziellen Unterstützer zu zeigen, dass das Projekt läuft. Die Bauhülle reicht ja nicht, wenn es nicht bespielt wird. Der Effekt wird ja nur in Kombination erreicht.“

Besonders beeindruckend war der Einsatz der Ehrenamtlichen, die organisatorische Arbeiten und die Besorgung dringend benötigter Dinge übernahmen, um das Projekt voranzutreiben. Beispielsweise leistete Christopher Willing seine Arbeit als Bauingenieur und Bauherr ehrenamtlich und sorgte dafür, dass die Sanierung auch auf fachlicher Ebene perfekt umgesetzt wurde. Ein wichtiger Aspekt den Zuschlag für die Finanzierung zu erhalten war jedoch eine klare Trennung der Gewerke von ehrenamtlich geleisteter Arbeit. Dies diente auch in der Planung bereits der gezielten Verwendung der Fördermittel. Von der statischen Verstärkung des Dachstuhls bis hin zur Restaurierung der Fassade wurde jedes Detail sorgfältig geplant und umgesetzt. Diese transparente Organisation war essenziell für den Erfolg des Projekts.

Die Bedeutung des Netzwerks und der Kooperationen für die Synagoge

„Das Netzwerk muss größer sein als das, was Sie unbedingt brauchen.“

Die Bauzeit von 2020 bis 2022 erwies sich unter den schwierigen Bedingungen der Corona-Pandemie als Herausforderung. Dank eines starken Netzwerks und guter Kooperationen konnte das Projekt dennoch erfolgreich umgesetzt werden. Einzelnen Akteur*innen kam dabei eine entscheidende Rolle zu, wie dem mehrfach erwähnten Christopher Willing, der als Diplom-Ingenieur für Siedlungswasserwirtschaft mit der Konzeptionierung und Umsetzung von Projekten bereits vertraut war. Zudem wurde das Projekt durch Architekten, verschiedene Baugewerke, die LEADER-Region Mittleres Fuldatal und die Stadt Felsberg entscheidend unterstützt. Ohne ihren Beitrag wäre das Vorhaben nicht realisierbar gewesen. Unterstützung kam etwa von der Regionalmanagerin Marion Karmann (v. a. in Bezug auf Fördermittel) sowie Prof. Dr. Peer Zietz vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Dessen plötzlicher Tod zeigte jedoch, wie schnell sich Bedingungen ändern können und wie wichtig verlässliche Partner sind. Der Erfolg des Projekts beruhte letztlich nicht nur auf fachlicher Kompetenz, sondern vor allem auf Kooperation und Vertrauen. Dies bestätigte sich während des gesamten Prozesses immer wieder.

Fortschritt nicht ohne Herausforderungen

Immer wieder ergaben sich im Laufe der Arbeiten und auch nach der Fertigstellung unerwartete Schwierigkeiten, so zum Beispiel bezüglich der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen. Die Diskussionen mit Polizei und Stadt über die Sicherheitstechnik waren langwierig, vor allem, da der Einbau einer Schleuse und einer Alarmanlage den Verein vor technische und praktische Herausforderungen stellte. Zudem sorgen die Wartungskosten für die Alarmanlage noch immer für Unsicherheit. Ungeklärt ist nämlich, wer die Kosten in Höhe von 12.000 Euro jährlich für die Wartung der Alarmanlage übernimmt.  

Auch in anderen Fällen liefen die Dinge nicht immer wie geplant. So vielen die Kosten für das Abschlagen des alten Putzes höher aus als erwartet, weshalb man sich beim Verputzen für einen kostengünstigeren Lehmputz entschied. Bei der Erarbeitung des Wärmekonzepts sahen sich die Planer*innen ebenfalls mit einem Problem konfrontiert. Die eingebaute Wärmepumpe wiederum erwies sich als nicht optimal, was dazu führte, dass im ersten Jahr viele Räume nicht ausreichend geheizt werden konnten. Die Frage nach geeigneten Möbeln für die Bibliothek bereitete ebenfalls Kopfzerbrechen. Ein Schrank aus dem Möbelhaus war keine Option, weil er nicht in den Raum passte und ein passendes Möbelstück zu finden, das auch bezahlbar war, stellte sich als ebenso schwierig heraus. Aber auch weitere innengestalterische Entscheidungen, wie die Gestaltung der Tora-Nische und des Tora-Schreins oder die Abhängung und Gestaltung der Synagogendecke inklusive des dazugehörigen Leuchters stellten kleinere Hürden dar.

Trotz der Schwierigkeiten konnte das Projekt in allen Bereichen vorankommen und meisterte die Hürden. Besonders bemerkenswert ist, dass keine Zwischenfälle oder größeren Gegenreaktionen aus der Bevölkerung zu verzeichnen waren. Auch die Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinde verlief positiv, was das Projektteam auch heute noch mit Zufriedenheit erfüllt.

Innenraum der Synagoge Felsberg

Große Resonanz und reges Interesse als Lohn für die harte Arbeit

Die Wiederbelebung der alten Synagoge hat einen bemerkenswerten Zuspruch gefunden, auch wenn nicht alle von Anfang an überzeugt waren. Während der Eröffnungsfeier im Jahr 2022 berichtete die Stellvertreterin des Landrates, dass sie das Projekt anfangs für unrealistisch gehalten habe, aber nach der Umsetzung tief beeindruckt sei. Diese Wandlung zeigt, wie wichtig die visuelle und atmosphärische Gestaltung des Gebäudes ist. So erschien die Synagoge während der Sanierung nur wie ein Wohnhaus, sodass nun vielfach gefragt wird, ob sie neu gebaut worden sei. Besonders positiv ist die wachsende Zahl von Schulklassen, die das Gebäude besuchen und Führungen nachfragen. Dies verdeutlicht, wie bedeutend das Projekt mittlerweile für die Region geworden ist – auch als Lernort.

„Es gab sehr wohl Leute, die hier drin waren und sagten ‚Mensch, ich habe da mein Bier getrunken und da habe ich gesessen – der Hammer, was ihr da jetzt draus gemacht habt.‘“

Das Projekt ist jedoch nicht nur eine architektonische, sondern auch eine kulturelle Erfolgsgeschichte. Jährlich werden rund 15 Kulturveranstaltungen für die Gemeinde organisiert, die weitgehend kostenfrei angeboten werden. Diese Veranstaltungen tragen zur kulturellen Vielfalt bei und fördern auch das Gemeinschaftsgefühl. Der Verein hat es geschafft, die Unterstützung der Stadt zu gewinnen, auch wenn es anfangs Bedenken hinsichtlich der Kosten gab. Besonders interessant ist die Wirkung auf das lokale Umfeld. Herr Willing betont, dass durch die Renovierung des Gebäudes auch andere Eigentümer*innen begonnen haben, ihre Häuser zu sanieren und auch weitere Projektideen umgesetzt wurden. Die Restaurierung und Wiedernutzung der Synagoge hat somit einen positiven Dominoeffekt ausgelöst.

Heute ist die Synagoge nicht nur ein Symbol jüdischer Kultur, sondern steht auch für Gemeinschaft und Engagement. Die denkmalgerechte Restaurierung macht das Gebäude weit über die Grenzen der Kleinstadt hinaus erlebbar. Das Projekt zeigt, wie historische Bauwerke durch neue Nutzungskonzepte wiederbelebt werden können. Die Synagoge ist nicht nur ein Ort für Gottesdienste, sondern ein kultureller Treffpunkt, der Bildung und Begegnung fördert.

Die Botschaft des Projektes ist klar: Mit einer starken Vision, langem Atem und der Unterstützung der Gemeinschaft kann der Erhalt historischen Erbes gelingen und die wiedererstandene Synagoge ein Symbol für Integration und den Erhalt jüdischer Geschichte sein.

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